Nepal: Sanukanchi Wenn ich in den Spiegel schaue, bin ich stolz auf mich

Die vierzehnjährige Sanukanchi leidet unter einem Klumpfuss. Mit neun Jahren musste ein Bein amputiert werden und sie konnte nicht mehr zur Schule gehen. Heute holt sie all das nach und blickt positiv in die Zukunft.

Sanukanchi

Sanukanchi | © Bas Bogaerts / Handicap International

Sanukanchi (14) blättert schnell die Seiten ihres Skizzenbuchs durch und zeigt schüchtern die bunten Blumen, die sie gezeichnet hat. Sie hat sich selbst das Zeichnen beigebracht, während sie wegen ihrer Behinderung das Haus nicht verlassen konnte.

Herumkrabbelnd war sie jahrelang ans Haus gefesselt. Bis Handicap International in Nepal ihr eine Prothese schenkte. Und Selbstvertrauen.

Sanukanchi wuchs in einem kleinen Dorf bei ihren Eltern auf. Sie waren arme Farmer und Analphabeten, die nicht wussten, was sie tun sollen, als sie bemerkten, dass der rechte Fuss ihres Babys stark deformiert war. Sanus Klumpfuss wurde niemals behandelt und jahrelang ist sie auf der einen Seite des Fusses gelaufen.

Die Dinge verschlimmerten sich, als sie neun Jahre alt war. „Ich habe draussen gespielt und plötzlich wurde mein gesunder Fuss verletzt. Meine Mutter war damals bereits Witwe und ich hatte noch drei Geschwister. Meine Mutter hatte kein Geld für einen Arzt und die Wunde infizierte sich. Es wurde immer schlimmer. Am Ende musste man meinen Fuß amputieren, um mein Leben zu retten. Ich erinnere mich an diesen Tag, als wäre es gestern gewesen. Ich war so unglaublich traurig.“

Von da an veränderte sich alles. Sanus rechter Fuss war zu schwach, um auf einem Bein zu hüpfen. Sie konnte also nicht mal mit Krücken selbstständig  laufen. Von einem Tag auf den anderen konnte Sanu nicht mehr in die Schule gehen und musste zu Hause bleiben. „Ich konnte nur noch krabbeln“, erinnert sie sich. „ Ich habe ferngesehen und gemalt. Am Anfang war ich einfach nur verzweifelt, weil nicht mehr raus konnte. Doch nach einer Weile wollte ich das gar nicht mehr. Die Menschen haben sich über mich lustig gemacht und die anderen Kinder haben mich gemobbt.“

So ging das viele Jahre lang. Als ein Mitarbeiter der Rehabilitationsgemeinschaft für Menschen mit Behinderung, die von Handicap International unterstützt wird, sie im Jahr 2013 fand, war sie ein ängstliches kleines Mädchen. „Ich traute meinen Augen nicht“, sagt der Mitarbeiter der Gemeinschaft. „Sie sass hier auf dem Boden, so verängstigt, dass sie mich nicht mal anschauen konnte.“

Handicap International hat Sanukanchi für eine Operation nach Katmandu gebracht, um ihren Beinstumpf für eine Prothese vorzubereiten. Für eine Operation an ihrem Klumpfuss war sie zu alt, jedoch konnte sie es mit Hilfe einer Orthese lernen, diesen Fuss zu benutzen. 

Heute hat sich alles wieder geändert. Fünf Jahre musste Sanu leiden und mit sich selbst kämpfen. Doch heute kann sie wieder aufrecht leben. Sie geht zur Schule und ist stolz darauf, auch wenn die anderen viel jünger als sie sind. 

Sanukanchi braucht immer noch regelmässig Physiotherapie, aber ihr Zuhause ist zu weit vom Rehabilitationszentrum entfernt. Deshalb hat Handicap International sie in das Heim von Voice of Creative Disabled in Nepal überwiesen, eine örtliche Nicht-Regierungsorganisation, die in Katmandu Essen und Wohnungen für fünfzehn Mädchen und Frauen mit Behinderung zur Verfügung stellt. Sie fühlt sich wohl hier; niemand macht sich über sie lustig. „Natürlich vermisse ich meine Mutter“, sagt sie. „Aber wir wissen beide, dass es für mich unmöglich ist, auf dem Land zu leben. Ich brauche die Rehabilitationsmassnahmen. Und meine Mutter ist so stolz auf mich.“

Vor drei Monaten fuhr Sanukanchi in ihr Heimatdorf, um ihre Familie zu besuchen. „Alle waren überwältigt, mich laufen zu sehen. Sie trauten ihren Augen nicht. Dieser Moment gab mir den Antrieb, den ich gebraucht habe. Mir wurde bewusst, dass ich im Leben etwas erreichen kann und auf einmal fühlte ich mich sehr stark.“

Seitdem ist Sanu noch motivierter, die Rehabilitationsübungen zu machen. Ihr nächstes Ziel: lange Strecken ohne Krücken laufen. Währenddessen nimmt sie an Rollstuhlrennen teil. Stolz zeigt sie ihre Medaille. „Ich war die Erste“, grinst sie.

Auf der letzten Seite ihres Skizzenbuchs befindet sich ein Portrait von ihr und ihrer besten Freundin. Ein Mädchen, das ebenfalls im Heim lebt und in einem Rollstuhl sitzt. Die Zeichnung stellt sie als Stars auf dem Titelblatt einer Zeitschrift dar. Sie beide können laufen, ohne Prothesen, ohne Orthesen. „Das ist mein Traum.“ Sie wird rot. „Manchmal bin ich sehr traurig darüber, was mit mir passiert ist. Aber ich weiss, woher ich komme. Und wenn ich in den Spiegel schaue, bin ich sehr stolz auf mich.“