«Die Zahl der Menschen mit Behinderungen wird deutlich zunehmen»

Nothlife
Palästinensische Gebiete

Maria Marelli, unsere unsere Physiotherapeutin und Expertin Kindergesundheit in Genf, war kürzlich in Rafah, um sich ein Bild von der Lage zu machen. Trotz ihrer langjährigen Felderfahrung war sie erschüttert von dem, was sie vor Ort sah: Sie beschreibt eine katastrophale humanitäre Krise, in der die Grundbedürfnisse (Wasser, Nahrung, Unterkunft) nicht mehr zugänglich sind.

Der kleine Fouad wird in Rafah von Teams von Handicap International betreut

Der kleine Fouad wird in Rafah von Teams von Handicap International betreut | © S. Sulaiman / HQ

Seit dem 7. Oktober und der Eskalation der Gewalt zwischen Israel und der Hamas wurden in Gaza mindestens 30’000 Palästinenser:innen durch die anhaltenden Bombardements der israelischen Streitkräfte getötet und rund 70’000 verletzt. Die israelische Offensive folgte auf einen massiven Angriff der Hamas, bei dem 1200 Israel:innen getötet und 240 Israel:innen und Ausländer:innen als Geiseln genommen wurden.

Meine Aufgabe bestand darin, den allgemeinen Zustand und die Moral unserer Teams zu beurteilen, ihre Organisation zu verstehen und sie bei ihrer Arbeit zu unterstützen. Ich begleitete sie bei ihren Einsätzen in den Vertriebenenlagern: Das mobile Team, bestehend aus Physiotherapeut:innen, Pflegefachpersonen und Ergotherapeut:innen, leistet unter schwierigen Bedingungen enormes.

Rafah ist überfüllt

Ich war erschrocken über das Ausmass der Krise. Überall sind Menschen und es fällt auf, dass fast alle Kinder ohne Schuhe herumlaufen. Nach fünf Monaten Krieg können sie die mitgenommenen Kleider und Schuhe allmählich nicht mehr tragen.

Wir besuchten eine ehemalige Schule für 2000 Personen, die zu einem Vertriebenenlager für 28’000 Menschen umfunktioniert wurde. Aufgrund der fehlenden Infrastruktur müssen die Menschen auf dem Boden, in den Gängen etc. schlafen. Überall fliesst Abwasser in die Gemeinschaftsräume … Ich bin erstaunt, wie die Menschen unter diesen hygienischen Bedingungen überleben.

Trotz dieser Schwierigkeiten gelingt es unseren Teams, mit der wenigen zur Verfügung stehenden Grundausrüstung eine medizinische Grundversorgung zu gewährleisten, da die Lastwagen mit Hilfsgütern an der Grenze blockiert sind.

Wir behandeln sowohl kriegsbedingte Verletzungen als auch Knochenbrüche, Verbrennungen und langfristige Behinderungen. Das machen nicht viele Organisationen. In solchen Notsituationen werden Menschen mit Behinderungen, ältere und bettlägerige Menschen vernachlässigt.

Unsere Hilfe in den Vertriebenenlagern

Wir haben unter anderem ein Kind mit einer Oberschenkelfraktur besucht, das vier Monate lang mit einem «Fixateur externe», einer äusseren Haltevorrichtung, behandelt wurde. Das ist eine ungewöhnlich lange Zeit, die eine weitere Operation notwendig macht. Wegen der hohen Nachfrage nach chirurgischen Eingriffen steht das Kind auf einer Warteliste. In der Zwischenzeit verbinden wir die Wunde weiter und erhalten seine Beweglichkeit und Muskelkraft. Um die Mobilität zu erleichtern, stellten wir ihm Krücken zur Verfügung und begannen, ihm das Treppensteigen, Sitzen und Stehen beizubringen.

Wir besuchten auch eine Frau, die einen Schlüsselbeinbruch erlitten hatte. Nach der Operation wurde sie aus dem Spital entlassen, konnte ihre Schulter jedoch nur sehr eingeschränkt bewegen. Es war ihre letzte Physiotherapiesitzung und sie war sehr glücklich, dass sie dadurch mehr Selbstständigkeit erlangt hatte. Jetzt kann sie ihre Hand über den Kopf halten, um den Hi¬dschab zu befestigen; sie kann nach draussen gehen, sich um sich selbst kümmern und sich selbst waschen.

Zahl der Menschen mit Behinderungen steigt

Die Zahl der Menschen mit Behinderungen in Gaza wird deutlich zunehmen. Das steht fest. Selbst scheinbar kleine Verletzungen oder Knochenbrüche können bei unsachgemässer Behandlung oder Infektionen, die aufgrund der schlechten hygienischen Bedingungen häufig auftreten, zu Komplikationen und lebenslangen Behinderungen führen.

Aufruf zu sofortigem Waffenstillstand

Handicap International ist alarmiert über die sehr hohe Zahl ziviler Opfer, das Fehlen eines sicheren humanitären Zugangs und die begrenzte Zahl von Lastwagen, die täglich in den Gazastreifen gelangen können. Gemeinsam mit mehr als 800 Organisationen fordert Handicap International einen sofortigen Waffenstillstand, um das Blutvergiessen zu beenden und sicherzustellen, dass die humanitäre Hilfe die betroffene Bevölkerung erreicht.


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10 April 2024
Einsatzländer

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