Menschen mit Behinderung in die Nothilfe einschliessen

Nothlife

Am 13. Dezember 2006 verabschiedeten die Vereinten Nationen die Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung. Seither wurde sie von 170 Staaten angenommen, auch von der Schweiz im Jahr 2014. Ein grosser Sieg für die Organisationen, die sich für die Achtung dieser Rechte einsetzen.

Mahmoud lebt in Flüchtlingslager Za'atari in Jordanien. Er leidet an der Perthes-Krankheit.

Mahmoud lebt in Flüchtlingslager Za'atari in Jordanien. Er leidet an der Perthes-Krankheit. | © S.Ahmed/ Handicap International

Von Petra Schroeter, Geschäftsführerin von Handicap International Schweiz.

Die Konvention vergegenwärtigt, dass die Menschenrechte auch für Menschen mit Behinderung gelten, die 15% der Weltbevölkerung ausmachen. Innerhalb von zehn Jahren ist sie zu einer international anerkannten Norm herangewachsen, die zunehmend von Ländern in ihre nationale Verfassung mit aufgenommen wird.

Dennoch werden die Rechte von Menschen mit Behinderung immer noch regelmässig mit Füssen getreten: Oft werden ihnen grundlegende Angebote verweigert (in Gesundheit, Bildung, Transport, Arbeit), weil diese unzugänglich sind. Sie werden wiederholt zu Opfern von Gewalt aufgrund ihrer Behinderung, leiden unter Beschränkungen im Familienleben, Zwangssterilisierung, Abgrenzung, Zwangsmedikation oder auch eingeschränkter Rechtsfähigkeit usw.

Bestimmte Gruppen von Menschen mit Behinderung sind noch ausgegrenzter als andere, dazu zählen Frauen mit Behinderung, Menschen mit einer geistigen Behinderung oder diejenigen, die von einer humanitären Krise betroffen sind.

> Behinderung und humanitäre Krise

In einem Konflikt oder einer Naturkatastrophe gehören Menschen mit Behinderung zu den Schutzbedürftigsten. Aus einem Krisengebiet zu fliehen und humanitäre Hilfe zu erreichen, erweist sich als deutlich schwieriger als für nichtbehinderte Menschen. Etwa 20 Millionen Menschen mit Behinderung müssen sich aktuell in einer humanitären Krise zurechtfinden, so die Schätzungen von Handicap International.

Die Nothilfe führt generell eine grosse Bandbreite an Aktivitäten durch, die aber nicht Menschen mit einer Behinderung und/oder älteren Menschen zugutekommen. Die Mitarbeitenden sind nicht dafür geschult, diese Menschen zu identifizieren und sie in ihre Nothilfeprogramme einzuschliessen. Daher sind sie nicht in der Lage, angemessen auf die Bedürfnisse einzugehen.

In einer Studie, die 2015 von Handicap International durchgeführt wurde, gaben 75% der befragten Menschen mit Behinderung an, dass sie von der humanitären Hilfe ausgeschlossen seien: ungleiche Behandlung beim Zugang zu grundlegenden Leistungen (medizinische Versorgung, Wasserversorgung, Lebensmittelverteilung und Unterkünfte) und fehlender Zugang zu spezieller Versorgung (Rehabilitation und Mobilitätshilfen).

Laut dieser selben Studie schätzen 92 % der humanitären Organisationen, dass Menschen mit Behinderung nicht richtig berücksichtigt werden. Manche bemühen sich bereits dahingehend. Doch ein starker Impuls auf internationaler Ebene ist notwendig, um die gängige Praxis wirklich zu verändern.

> Für eine inklusivere Hilfe

Gemeinsam mit anderen Akteuren der Nothilfe hat  Handicap International eine Charta über die Inklusion von Menschen mit Behinderung in die humanitäre Hilfe entwickelt, um die bessere Berücksichtigung der Bedarfe von Menschen mit Behinderung in humanitären Krisen voranzutreiben.

Diese Charta fordert die Akteure der humanitären Hilfe dazu auf, Menschen mit Behinderung in ihre Einsätze mit einzuschliessen, aber auch, deren Bedürfnisse und Rechte in ihren Hilfsprogrammen zu beachten. Dies soll in Einklang mit dem humanitären Prinzip der Unparteilichkeit erfolgen, das gebietet, den besonders Schutzbedürftigen Vorrang zu gewähren.

Es geht darum, dass die Akteure ihre Angebote und Infrastrukturen an Menschen mit Behinderung anpassen – und sie besser im Moment der Ausarbeitung der Programme berücksichtigen, denn sie selbst können am besten einschätzen, wo der eigene Bedarf liegt.

Die Charta wurde anlässlich des Weltgipfels der humanitären Hilfe vergangenen Mai für Nicht-Regierungs-Organisationen, Staaten und Geldgeber zur Unterzeichnung eröffnet. Seither wurde sie bereits von 138 Akteuren angenommen. Wir zählen auf die Schweiz und darauf, dass sie bald ihre Unterstützung ausdrücken wird, indem sie ihrerseits die Charta annimmt.

1 Februar 2017
Einsatzländer

Nehmen Sie mit uns Kontakt auf

Nadia Ben Said
Verantwortliche Medien
(FR/DE/EN)

Tel : +41 22 710 93 36
[email protected]

HELFEN
Sie mit

Lesen sie weiter

Erdbeben im Nordwesten Syriens: Gefahr durch explosive Kriegsreste
HI Partners
Nothlife

Erdbeben im Nordwesten Syriens: Gefahr durch explosive Kriegsreste

Die Gefahr von nicht explodierten Kriegsresten für die Bevölkerung und die humanitären Helfer:innen ist nach dem Erdbeben enorm. Wir befürchten, dass viele Blindgänger durch das Erdbeben, Erdrutsche oder eingestürzte Gebäude verschoben und bereits geräumte Gebiete erneut kontaminieren wurden.

Erfahrungsberichte unserer Teams in der Ukraine zum 24. Februar 2022
© HI
Gesundheit und Prävention Nothlife

Erfahrungsberichte unserer Teams in der Ukraine zum 24. Februar 2022

Seit dem 24. Februar 2022 und dem Beginn des gross angelegten militärischen Angriffs in der Ukraine werden die wichtigen Städte des Landes intensiv bombardiert. Unser Team mit mehr als 170 Fachkräften ist vor Ort und kümmert sich um die am meisten gefährdeten Menschen. Nach einem Jahr erzählen uns einige unserer Teammitglieder und Partner, wie sie den 24. Februar 2022 erlebt haben. 

Rema: Ich lag 30 Stunden unter den Trümmern
© HI
Gesundheit und Prävention Nothlife Rehabilitation

Rema: Ich lag 30 Stunden unter den Trümmern

Die 13-jährige Rema hat das Erdbeben in Syrien überlebt. Sie lag 30 Stunden unter den Trümmern. Schliesslich wurde ihr Bein an Ort und Stelle amputiert, um sie zu befreien. Hier erzählt sie ihre Geschichte.